The comprehensive linguistic ability of humans, which matures in the first language, is the foundation of our self-development and the unquestioned prerequisite of all foreign language learning: We only learn language once.

February 11, 2024
If we are a race that cannot learn, what will become of us?

Prof. em. Dr.  Wolfgang Butzkamm an der Johannes-Gutenberg-Realschule in Hiltrup
Foto mit freundlicher Genehmigung der Münsterschen Zeitung.

“J’accuse…!” (2017)

Warum scheitern in unseren Deutschkursen selbst hochqualifizierte und hochmotivierte, fleißige Vierzigjährige, die sich hier eine Existenz aufbauen wollen?

“I accuse…!”

Why do so many asylum seekers fail the official German courses, among them even highly qualified, highly motivated and hard-working migrants who are keen on starting a new life in Germany?

„J’accuse…!“(version française)

Pourquoi tant de demandeurs d’asile échouent-ils aux cours officiels d’allemand, parmi lesquels des migrants hautement qualifiés, très motivés et travailleurs, désireux de commencer une nouvelle vie en Allemagne?

تحمیل مسؤولیة

لماذا یخفق عدد كبیر من طالبي اللجوء في ألمانیا في دورات اللغة الألمانیة المقدمة من الحكومة الألمانیة؟ أحیانا یفشل أشخاص في
.الأربعین من عمرهم رغم أنهم مجتهدون و حملة كفاءات عالیة و لدیهم حافز كبیر لبدء حیاة جدیدة في ألمانیا

Ich klage an,

alle, die schon jahrelang  Deutsch als Fremdsprache (DaF) nach dem Prinzip Alles-auf-Deutsch unterrichten (bzw. unterrichten lassen), zum Nachteil der Schüler. 

Dazu gehören die in diesem Bereich Tätigen:

  • das Goethe-Institut
  • Sprachlehrzentren &  Sprachenakademien an Universitäten und Volkshochschulen
  • kommerzielle Anbieter wie Berlitz und Inlingua, die immer noch nach überholten direktmethodischen Prinzipien arbeiten
  • zahlreiche Lehrerausbilder an Universitäten und Schulen
  • Lehrwerkverlage
  • das BAMF

Denn sie hätten es besser wissen müssen und auf eine schwierige Situation flexibler reagieren müssen. Denn nur wer ihre Muttersprachen mit ins Spiel bringt, holt seine Schüler da ab, wo sie sind.

Ich behaupte:

„Alles-auf-Deutsch“ (und weltweit der English-only-approach) ist im digitalen Zeitalter eine Rücksichtslosigkeit, die immer noch als Methode firmiert. Der einsprachige Ansatz ist gerade für Anfänger und Sprecher von aus unserer Sicht „exotischen“ Sprachen grundverkehrt. Zumal diese Sprachen meist auch noch andere Schriftsysteme benutzen. Deutsche Schüler aber lernen Fremdsprachen in der Regel mithilfe deutscher Erklärungen. Warum sollen Migranten beim Deutschlernen ohne muttersprachliche Hilfen auskommen? Viele scheitern.

Ich schlage vor:

  • Die Lehrwerkverlage bieten Extra-Vokabelanhänge, nach Lektionen geordnet, in zahlreichen Muttersprachen an.
  • Als Mindestforderung: Die Verlage bieten Listen von classroom phrases in vielen Sprachen an.
  • Lehrer bieten Auszeiten an, in denen einzelne Lernergruppen Unverstandenes untereinander mithilfe ihrer elektronischen Wörterbücher klären.
  • Lehrer zeigen Youtube-Videos zu gerade anstehenden grammatischen Themen in der Muttersprache einer Schülergruppe. Der Lehrer arbeitet derweil mit dem Rest der Klasse. Diese Videos sind von Muttersprachlern für deutschlernende Landsleute gemacht und sind z.T. schon millionenfach angeklickt (Arabisch / Persisch). Ideal wäre natürlich, die Lehrer kündigen vorher ein neues grammatisches Thema an, und die Schüler bereiten sich zuhause darauf vor, mithilfe von Youtube Videos oder auch mit muttersprachlichen Grammatiken des Deutschen, falls vorhanden.
  • Lehrer lassen sich von ehemaligen Schülern Übersetzungen von besonders ausgewählten guten Texten machen, die sie immer wieder erneut verwenden und an ihre neuen Schüler weitergeben.
  • Migranten arbeiten selbständig mit Google Translator. Sie erfinden kurze Alltagsgespräche in ihrer Muttersprache. Alles, was sie gerne sagen möchten. Dann mit Google Translator satzweise ins Deutsche übersetzen. Wenn möglich, den deutschen Text von einem Muttersprachler korrigieren lassen und mit einem Partner üben / im Unterricht vorspielen.
  • Entgegen dem Ratschlag des BAMF werden, wo möglich, Klassen mit Schülern derselben Muttersprache gebildet. Für sie wären Lehrwerke des Typs „Deutsch für Perser“ (z.B. das von Hossein Tavakkoly) oder „Deutsch für Araber“ ideal, also Lehrwerke, die in der Muttersprache der Lerner abgefasst sind. Hier können, wenn nötig,  ungewöhnliche fremdartige Konstruktionen nicht nur durch normale Übersetzungen, sondern auch durch muttersprachliche Spiegelungen (= Wort für Wort Übersetzungen) geklärt werden. Das ist das Prinzip des Doppelverstehens, die Grundbedingung des Spracherwerbs.
  • Beispiele: Wir sagen „Wolkenkratzer“, andere sagen dafür „Himmel-Kratzer“ oder auch „Kratz (den) Himmel“. In manchen  Sprachen heißt es nicht „Haben Sie einen Pass?“, sondern „Ist Ihnen Pass?“. Oder: In der Twi-Sprache werden Vergleiche wie „Kofi ist größer als ich“ wie folgt ausgedrückt: „Kofi groß übertreffen mich“.  Im Chinesischen wird der Plural nicht durch Endungen, sondern mittels eines eingefügten Messworts markiert. „Zwei Bücher“ ist dort wörtlich „zwei Band Buch“ oder „zwei Messer“ heisst wörtlich „zwei Griff Messer.“ So wie wir „zwei Stück Seife“ oder „zwei Riegel Schokolade“ sagen. In der Sprache der Ponca sagt man für „Ich habe eine Schwester“ so etwas wie  „Ich bin ge-schwestert.“ –  Auf diese Weise werden Sprachen füreinander transparent. Klarer geht’s wohl nicht.
  • Da die Schüler aus unterschiedlichen Lernkulturen kommen, müssen ihnen solide, bewährte Selbstlerntechniken vorgeführt und nahegebracht werden, etwa die Read-and-look-up Technik.
  • Auf längere Sicht könnten die Lehrer sich auch mit einigen grammatischen und phonetischen Besonderheiten ihrer Schülersprachen vertraut machen, solchen, die immer wieder zu denselben auffälligen Fehlern im Deutschen führen.
  • Lehrbücher für Fortgeschrittene bieten landeskundliche Texte zu Themen wie Parteien, Gewerkschaften usw. an. Schüler könnten sich darauf vorbereiten, indem sie Wikipedia-Artikel in ihrer Muttersprache zu denselben Themen lesen. Das hilft,  die deutschen Texte besser zu verstehen.
  • Das BAMF möge die in mehr als 50 Sprachen vorliegenden zweisprachigen Bücher des Goethe-Verlags, die als Internetversion Migranten kostenlos zugänglich sind, für den Anfängerunterricht ausdrücklich empfehlen. Sehr gut für den Einstieg ins Deutsche sind auch die Sprachführer „Erste Worte für einen guten Anfang“ (de), die in 8 Sprachen vorliegen (z.B. Oromo), jeweils versehen mit Englisch als Brückensprache zum Deutschen.
  • Überzeugen Sie sich selbst. Lernen Sie Japanisch und gehen Sie in einen Kurs mit der Devise „Alles auf Japanisch.“
  • Die Digitalisierung bietet heute schon die Chance, Unterrichten und Lernen einigermaßen, jedenfalls besser als zuvor, auf den individuellen Lerner zuzuschneiden.

Inzwischen belegen zahlreiche Studien die Wirksamkeit zweisprachiger Lehrtechniken (Butzkamm & Caldwell 2009). Die Zeit ist reif für einen Paradigmenwechsel. Das Muttersprachentabu muss vom Tisch. Allerdings: Das Problem ist vielschichtig und der bilinguale Ansatz ist kein Allheilmittel gegen das Scheitern. Für Deutschlehrer gibt es viel zu tun, nicht nur angesichts der unterschiedlichen Grammatiken, die wir im Ansatz verstehen und mit dem Deutschen abgleichen müssen. Enorm erschwerend kommen hinzu große Altersunterschiede der Lerner, Unterschiede in den Herkunftskulturen, unterschiedliche Motivation, Begabung und Vorkenntnisse (Alphabetisierung? Wieviel Schulerfahrung? Unterschiedliche Verweildauer in Deutschland…). Wahrhaftig keine leichte Aufgabe.

Nachtrag Juli 2016: Deutsch für Migranten – mehrsprachig – YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=FdqhEVHjRyI

Leave a Reply

Your email address will not be published.